BAUEN FÜR DIE SEELE

Organische Baustoffe haben viele Vorteile: sie sind diffusionsoffen, gesund, nachwachsend, brauchen meist wenig Energie in der Herstellung (Sonne), und sie besitzen im Unterschied zu den meisten technisch-synthetischen Baustoffen eine organische „Seele“, das menschliches Maß.

Von Herbert Gruber, asbn
„Alle Materialien haben individuelle Eigenschaften. Holz ist warm, es birgt Leben in sich, obwohl der Baum längst gefällt ist, Ziegel vermittelt beim Anfassen und Betrachten immer etwas von der Wärme des Brennofens. Stahl ist hart, kalt und zeugt vom Druck starker, mächtiger Industriemaschinen, die ihn gerollt und gepreßt haben; Kunststoff hat etwas von dem unnatürlichen molekularen Prozeß (Polymerisation) an sich, durch den er entstanden ist, er steht außerhalb der Sphäre des Lebens und ist, wie Stahlbeton, durch nicht sichtbare Strukturgesetze gebunden. Aus diesen Eigenschaften heraus sprechen die Materialien zu uns. Es ist schwer, aus unbehandeltem Holz einen Raum mit kühler Ausstrahlung herzustellen, und schwierig, einen warmen, weichen, zugänglichen Raum aus Beton zu bauen.“

Der aus Wales stammende Architekt Christopher Day, der dieses schreibt, ist einer der sanften Vorkämpfer – oder Wiederentdecker – organischer Materialien für organische – menschliche – Formen: „Naturbaustoffe sind `natürlich´ für die menschliche Umgebung. Sie fördern unsere Verwurzelung, unsere Erdung. Das Bedürfnis nach Wurzeln hat zur Wiederbelebung alter Baustile in der Architektur geführt. Diese mögen allerdings noch so stilvoll nachempfunden sein, wenn ursprüngliche Formen mit modernen Materialien gebaut werden, mit Stahlbeton, glasfaserverstärktem Kunststoff, Kunststeinen und Holzlaminat, dann sehen sie aus, wie sie klingen, wenn man daran klopft.“ (Christopher Day: Bauen für die Seele)

Noch unsere Großeltern haben mit Baustoffen Häuser errichtet, die dieses menschliche Maß, diese „Seele“ innehatten: in erster Linie Holz mit seinen faszinierenden Strukturen, Ästen, Linien, ja auch Rissen und Verdrehungen. Sie haben aber auch Bescheid gewußt über die Methoden, durch Winterschlägerung, Ablegen und langsames Trocknen Holz zu beruhigen, damit es weniger arbeitet, reißt und sich nicht verdreht. Auch massive, mit Flachs, Stroh, Schilf, Kork, Hanf, Holz- (Zellulose) oder Schafwolle gedämmte Wände aus Ziegel, Lehm, Naturkalk oder Holz haben Charakter und ihre besondere Schönheit. Kombiniert mit der hohen Dämmwirkung und Atmungsfähigkeit, bieten diese Wände ein umfassendes Gefühl von Geborgenheit und Behaglichkeit, die in kaum einer der dünnen Einfamilienhauswände aus modernen Baumaterialien zu finden ist. Sie sind in ihrem Erscheinungsbild ähnlich den dicken Stein- und Lehmwänden, die vor allem in alten europäischen Bauernhäusern, mediterranen Villen und den Lehmbauten im Südwestens Amerikas heute noch zu finden sind.

Es scheint, als ob die persönlichen Charaktere der Menschen, die in diesen Häusern leben, aus den Wänden gelesen werden können: ein tiefer, geschwungener Eingangsbereich heißt Gäste freundlich willkommen, wo eine intime Wand-Nische persönliche Erinnerungen zur Schau stellt, wo in einem verborgenen Winkel eine in die Wand gebaute Sitzbank zu ruhigem Verweilen anregt oder wo abgerundete Fensternischen und tiefe Fensterbänke einen Blick nach außen gewähren.

Massive Wände erzeugen bei allen Öffnungen nach außen sichtbare Übergangszonen, die in verschiedensten Ausformungen möglich sind. Sie können zu sozialen Räumen werden, Sitze, Nischen und Vitrinen beherbergen oder persönlich gestaltete Passagen bilden, im Gegensatz zu den Türen und Fenstern konventioneller Gebäude, die genaugenommen nichts als Öffnungen in einer Wand sind. Die Massivität dieser Wände erlaubt es den Bewohnern nicht nur, sie individuell zu gestalten und den eigenen Bedürfnissen anzupassen sondern erzeugen auch das physische und psychologische Gefühl von Wohlfühlen und Geborgenheit. „Ein Aspekt beim traditionellen Bauen mit naturnahen Materialien war ihre Dimensionierung nach den Maßen des menschlichen Körpers. Sie sind so bemessen, daß sie von Hand verlegt werden könnnen.“

Derart errichtete Wände erlauben kleine Fehler, locken die persönliche Kreativität hervor und führen dennoch zu energieeffizienten und dem jeweiligen Klima angepassten Strukturen.

Viele Menschen haben Angst im Umgang mit der Komplexität, den eventuell verursachten Schäden und damit Kosten moderner Baustoffe und Werkzeuge. Bauen mit Naturbaustoffen erlaubt es ungeübten, ja sogar „ungeschickten“ Menschen, am Bauprozess unmittelbar beteiligt zu sein und damit ihr eigenes Heim selbst mitzugestalten. Abgeschrägte oder abgerundete Fensterlaibungen bieten nicht nur Ausblick und Licht sondern sind vielfältig nutzbar für dekorative Objekte, Glasregale, Blumen udgl. Größere Fensterfronten sind besonders auch als Sitzplätze beliebt.

„Materialien sind die Rohstoffe für Kunst“, sagt Christopher Day, „sie beeinflussen unsere Gefühle. Mittelmäßige Architektur, wenn sie nicht erdrückend groß ausfällt, wirkt in Holz oder mit gutgewählten Ziegelsteinen wirklich ganz gefällig, aus Beton dagegen gewöhnlich katastrophal.“ Auch die sorgfältige Materialwahl für den Boden hält Day für mindestens ebenso wichtig wie die Materialwahl für die Wände. Auch hier bieten sich naturbelassenes – geöltes und gewachstes – Holz, Lehm, Ziegel, Terra Cotta, Kork oder Linoleum neben Naturfasern wie Schafwolle, Sisal, Kokos oder Stroh an. „Wir reagieren, über individuelle persönliche Vorlieben hinaus, auf die Geschichte und das „Wesenhafte“ eines Materials,“ ist Day überzeugt, „wobei beides sein Erscheinungsbild prägt. Unsere Gefühle sind nicht zufallsbedingt sondern drücken aus, wie stark dieses „Wesenhafte“ unsere Seelenbedürfnisse anspricht, sie sind zudem eng verwoben mit den (biologischen und gesundheitlichen) Auswirkungen, die das Material auf unseren Körper hat.“