STROHBALLENBAU – DIE REVOLUTION IM HAUSBAU

Herbert Gruber, asbn (Österr. Strohballen-Netzwerk)

Die Pionierzeit der Strohbau-Konstruktion charakterisiert sich durch ziemlich konventionelle Gebäude, wo Strohballen in herkömmliche Wandsysteme eingeplant wurden und von traditionellen Komponenten umzingelt waren. In diesen Fällen wurden Strohballen einfach als großdimensionierte Ziegel verwendet. Wenn jemand aber einmal mit Stroh gebaut hat, erkennt er, daß Strohballen nicht bloß ein Ersatz-Wandsystem darstellen. Strohballen gleichen keinem anderen Material: sie sind massiv, aber nicht schwer wie Stein oder Ziegel, einfach und schnell zu verarbeiten, aber das Ergebnis läßt sich sehen und ist extrem anpassungsfähig. Das besonders Einzigartige an dieser Bautechnik ist seine Flexibilität.

Der eigentliche Vorteil von Konstruktionen mit Stroh ist ihre ideale Anpassung an die jeweilige Umgebung und die formale Harmonie, die sie ausstrahlen können. Es ist die enorme Flexibilität, die das eigentliche Potential des Bauens mit Stroh ausmacht. Die Arbeit mit Strohballen bietet die Möglichkeit zu verspielter Kreativität und macht unsere Umwelt menschlicher und persönlicher. Dinge, die wir durch die Industrialisierung rechteckiger, technisierter Bauformen verloren haben. Elemente, die mit derzeitigen Baustoffen beinahe unmöglich geworden sind, werden in der Strohbautechnik plötzlich ohne großen Aufwand möglich. Bögen, Gebäude, die nur beinahe rechteckig sind, abgerundete Ecken und Kanten – wo wir es wollen, Bänke, die aus Wänden wachsen, Nischen, die in Wände geformt sind, Wände, die lebendig sind, weil sie nicht gerade sein müssen. Noch nie hatten wir Wände, die zugleich so massiv und doch so anpassungsfähig sein können.

Fast universell
Strohballen haben viele positive Attribute, die sie zu exzellenten Baustoffen machen. Sie sind leicht formbar, organisch, gut dämmend und schallisolierend, gut feuchteausgleichend, kurz gesagt: es können daraus dauerhafte, sichere und unbegrenzt haltbare Strukturen geschaffen werden. Sie sind enorm energieeffizient, umweltfreundlich, einfach in ihrer Verarbeitung, extrem günstig und ästhetisch.

Häuser aus Strohballen können traditionell oder modern, groß oder klein, hell und geräumig oder gemütlich und intim sein. Zahllose Strohhausbauer, Workshop- und Seminarteilnehmer, Beobachter, Kritiker und Interessierte in aller Welt haben mit ihrer Begeisterung und ihrem Enthusiasmus grundlegende Techniken rund um das Bauen mit Strohballen entwickelt und verfeinert. Ein Engagement, das stark dadurch begünstigt wurde, daß die Konstruktionen dem Wunsch nach angemessenem und vor allem leistbarem Wohnen entsprechen.

Kurzgeschichte
Stroh und andere Gräser spielten in allen Regionen und Klimaten bereits bei den ersten Bauwerken der Menschheit eine große Rolle, um ein sicheres, zuverlässiges und bequemes Wohnen zu ermöglichen. In Asien und Europa wurden Wände aus gebundenen Strohbündeln seit Jahrhunderten mit Lehm und Erde verputzt. Um 1800 begann mit der Entwicklung der Strohballen-Pressen in den USA eine neue Ära des Bauens mit Stroh. In Gegenden, in denen viel Getreide angebaut und geerntet wurde, brauchte es nur geringe Phantasie, um sich Strohballen als überdimensionale Ziegel vorzustellen. So wurde das erste ãmoderne” Strohhaus auch in Nebraska, einer Gegend mit riesigen Getreidefeldern, errichtet. Der schnellste Weg, ein Dach über dem Kopf zu erhalten, waren eben Häuser aus Strohballen. Viele dieser Bauten wurden als temporäre Bleiben errichtet, aber als erkannt wurde, daß sie nicht nur ihre geplante Ablaufzeit schadlos überstanden, sondern auch in den extremen Winter- und Sommermonaten Nebraskas eine bequeme und zuverlässige Behausung bildeten, wurden sie bald als bleibende Häuser anerkannt.

Ursprünglich wurden ausschließlich Strohhäuser errichtet, deren Wände das Dach direkt trugen (loadbearing straw-bale-house, Nebraska-Stil). Erst im Jahr 1936 wurde ein zweistöckiges Strohhaus errichtet, dessen Holzständerwandsystem mit 2.200 Strohballen als Wand- und Dämm-Material gefüllt wurde. In den 50er bis 80er-Jahren wurden Strohhäuser mehr und mehr durch die standartisierten Massen-Baustoffe ersetzt.

Im Jahr 1974 sorgte der Artikel „Baled Hay“ (zu Ballen geformtes Heu) von Roger Welsch für wiederaufkommendes Interesse. Ende der 70er-Jahre kam es zu einem Revival rund um das Bauen mit Stroh: Der Kanadier Louis Gagné entwickelte 1982 ein Strohballen-Mörtel-Wandsystem (mortared-bale matrix) für lasttragende Wände in städtischen Gebieten, das bezüglich Brandwiderstand, Statik, Feuchteverhalten, und Dämmwert nach herkömmlichen Methoden technisch untersucht wurde. Nach diesem heute noch angewendeten Verfahren werden Strohballen auf im Fundament einbetonierten Stangen aufgespießt.

Stroh-Boom
Der endgültige Boom in den USA wurde durch eine Beschreibung eines Strohhauses in Holzständerbauweise des kalifornischen Architekten Jon Hammond in dem Magazin Fine Homebuilding im Dezember 1984 ausgelöst. Ab nun ging es Schlag auf Schlag. Animiert durch die Beschreibung entstanden in allen Teilen der USA, aber auch in Kanada zahllose Bauten mit Strohballen. Magazine (The Last Straw), Vereine und Firmen (Out on Bale, ArchiBio) wurden gegründet, Seminare und Workshops abgehalten, Berichte erschienen in TV-Sendern, Zeitschriften und im Internet.

In den USA werden Strohballen-Häuser auch besonders wegen ihrer seismischen Beständigkeit bei Erdbeben geschätzt. Bereits 1990 wurde das erste Strohballen-Haus vom Architetkten Tapani Marjamaa in Finnland errichtet. 1991 wurde das erste kommisionierte, versicherte und bankfinanzierte Strohballen-Haus in Holzständerbauweise in Neu Mexiko gebaut. Hier und in Arizona, später auch in Kalifornien, wurden eigene Richtlinien für das Bauen mit Stroh herausgegeben. Im Jahr 1993 fand die erste große Konferenz (First Straw Bale Building Conference) in Nebraska statt. Sie führte zur Gründung des GSBN (Global Strawbale Network) und später des ESBN (European Strawbale Network), dem schließlich nationale Netzwerke in mittlerweile fast allen europäischen Ländern angehören. Ziel dieser Netzwerke ist es, Erfahrungen, Studien und Forschungsergebnisse im Zusammenhang mit Bauten aus Strohballen zu sammeln, zu veröffentlichen und auszutauschen und vor allem doppelte Arbeit zu vermeiden.

Im Jahr 1993 startete der National Research Council of Canada eine einjährige Untersuchungsreihe eines lasttragenden Strohhauses in Nova Scotia, in dem die Wände bezüglich Dämmwirkung, Feuchteverhalten, Kompression und Statik untersucht wurden. Das Farmer to Farmer Program sponserte im südlichen Mexiko gemeinsam mit der Projeccion Humana de Mexico ein Strohballen-Projekt, in dem es um die Entwicklung geeigneter (traditioneller) Bau-Techniken für ländliche Kommunen ging. Stroh-Häuser wurden traditionell auf einem Stein-Fundament, mit Bambusdach und Bambusrohren als Decken-Balken gebaut. Im Jahr 1994 begann die MacArthur Foundation Techniken rund um das Bauen mit Stroh mexikanischen Frauen zu lehren. Im Jahr 1994 initiierte das Ezra Taft Benson Agriculture and Food Institut in Utah Strohbau-Projekte in Guatemala. Ebenfalls im Jahr 1994 begann der Amerikaner Scott Pittman gemeinsam mit dem australischen Permakultur-Gründer Bill Mollison ein Strohbau-Seminar im Ural. Zahlreiche weitere Strohhäuser wurden mittlerweile in verschiedensten Techniken überall in der Welt gebaut.

Vorteile
Zieht man alle Faktoren ins Kalkül, erweisen sich Strohballen als eines der bemerkenswertesten Bau-Materialien. Sie werden aus einem ãAbfall-Material” eines nachwachsenden Rohstoffes erzeugt, der in kürzester Zeit nachwächst, vollkommen abbaubar ist, und in seiner Verwendung (statt Verbrennung) zahlreiche Effekte zur Erhaltung einer intakten Umwelt bewirkt. Strohballen sind einfach zu bearbeiten und zu formen, flexibel genug, um sie in einer Reihe an Anwendungen einzusetzen, solid, stabil und auch über lange Zeit haltbar. Zudem sind Strohballen beinahe rund um die Welt regional verfügbar. Im Gegensatz dazu brauchen moderne Baustoffe spezialisierte, teure Arbeitskräfte und Werkzeuge bzw. Maschinen, sie sind meist unflexibel, besitzen nur geringen ästhetischen Charakter, sind oft toxisch und erzeugen während Herstellung, Verarbeitung, Gebrauch und Entsorgung erhebliche Mengen an Umweltverschmutzung und Abfall.

Ein weiterer großer Vorteil von Strohballen-Konstruktionen, der in keiner Statistik oder Vergleichsstudie von Baumaterialien aufscheint, ist der hohe Grad an sozialer Interaktion und Partizipation während des Baugeschehens. Menschen, die normalerweise aus dem Bauprozess ausgeschlossen sind, werden hier direkt und enthusiastisch envolviert. Außerdem bieten massive, mit Lehm oder Mörtel verputzte Strohwände ein exzellentes Wohnklima, im Sommer angenehm kühl und im Winter wohlig warm. Die Atemluft fühlt sich beim Einatmen frisch an, und ist im Gegensatz zu den vielen giftigen Ausdünstungen herkömmlicher Wohnräume belebend und schadstoffrei. Auch der hervorragende Schallschutz trägt zu einem ruhigen und entspannenden Innenraumklima bei.

Feuchtigkeit
Es konnte bewiesen werden, daß Strohballen auch feuchte Klimaten gut vertragen. Forschungen der Kanadischen Baubehörde mittels in den Wänden verlegter Testkabel in einem Strohballenhaus konnten belegen, daß der Durchschnitt aller Wände (inkl. Badezimmer) bei 13% relativer Feuchtigkeit liegt. Der ideale Feuchtegehalt liegt allgemein unter 14% relativer Feuchte (Prozent des Trockengewichtes). Der Feuchtegehalt ist damit – ohne! Feuchtigkeitsbarrieren (Dampfsperren) – gering genug, um die hohe Dämmwirkung der Wände nicht zu beeinträchtigen.

So kann behauptet werden, daß eine Strohballenwand mit maximaler Atmungsfähigkeit (geringem Diffusionswiderstand) ohne Dampfbremsen und -sperren die beste Versicherung gegen Feuchtigkeit ist. Die Tests zeigten ebenso, daß die verputzten Strohballenwände unmittelbar nach Fertigstellung des Hauses kontinuierlich auszutrocknen beginnen.

Ungeziefer
Eine der weitverbreitetsten Ängste im Zusammenhang mit Strohwänden betrifft die Beständigkeit gegenüber Nagetieren und Insekten. Demgegenüber muß gesagt werden, daß Untersuchungen in alten und neuen Strohballenhäusern keine wie immer gearteten Hinweise auf Schäden durch Nagetiere gezeigt haben. Strohballenwände bieten durch die kompakte Pressung der Ballen geringere Zwischenräume als konventionelle Holzbauten. Wird die Strohballen-Wand mit einer geschlossenen Schicht Verputz eingehüllt, ist auch die Gefahr für Kleinlebewesen und Insekten gering. Lediglich in unverputzten Wänden besteht die Gefahr, daß Insekten wie z.B. Wespen oder Motten dort ihre Nester bauen.

Energieeffizienz
Die spezifische Wärmedämmung wird als lambda-Wert dargestellt, bekannter ist der k-Wert (U-Wert) einer (Außen-)Wand bzw. eines Bauteils. Durch ihre Massivität, aber auch die hervorragende Dämmeigenschaft des Materials Stroh erreichen Außenwände bei einer Stärke von 40 bis 50 cm einen k-Wert von 0,09 – 0,14. Das entspricht weit mehr als dem Niedrigenergiehausstandard und ist ebenso mehr, als die meisten Super-Energiespar-Fertig- oder Massivhäuser bieten können.

Zieht man den günstigen Preis derart errichteter Wände mit ins Kalkül, so ist bei weitem mit keiner anderen Wärmedämmung eine derartige Energieeinsparung bei ähnlichen Kosten zu erreichen. Die damit erreichte Heiz- und Klimatisierungsersparnis wirkt sich in kurzer Zeit enorm auf die laufenden Betriebskosten eines Hauses aus. Zieht man die Primärenergie mit ins Kalkül, jene Energie, die notwendig ist, ein Produkt herzustellen (anzubauen und zu ernten), übertrifft die Strohballenbauweise bei weitem die meisten industriellen Baustoffe: Einer Berechnung von Richard Hoffmeister an der Frank Lloyd Wright School for Architecture in Arizona zufolge, sind Holzständerwände mit einer Mineralfaserdämmung 30mal(!) energieintensiver als vergleichbare mit Strohballen gedämmte Wände.

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