DER UNAUFHALTSAME TREND ZU NATUR

Lange Zeit führte die Baubiologie beinahe ein Schattendasein. Nur „Insidern” waren die enormen Vorzüge diffusionsoffener, natürlicher Baustoffe bekannt. Jetzt ist plötzlich alles anders: Lehm, Stroh, Holz, Zellulose, Flachs & Co erleben ein fulminates Revival. Einige Gründe dafür sind freilich profan: Natur ist auch preislich konkurrenzfähig geworden. Gesünder war sie ja schon immer. 
Von Herbert Gruber, www.baubiologie.at

In Anbetracht der ständig wachsenden Zahl von Stadtbewohnern besteht eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft darin, neben den Grundrechten auf Ernährung und Bekleidung eine angemessene Bleibe für alle zur Verfügung zu stellen. Damit ist allerdings viel mehr gemeint, als bloß ein Dach über dem Kopf zu haben. Die UNO-Weltkonferenz Habitat I in Vancouver (1976) und Habitat II in Istanbul (1996) definierten angemessenes Wohnen mit dem Recht auf den Schutz der Privatsphäre, auf genügend Platz und Sicherheit, Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung, eine solide gebaute Wohnung mit Licht und ausreichender Belüftung, entsprechenden sanitären Einrichtungen und Abwasserentsorgung.

Anläßlich des World Habitat Day (5. Oktober) wurden 1997 (Bonn) wie auch 1998 (Dubai) wieder 10 vorbildliche Stadtentwicklungs-Konzepte mit dem „International Award for best Practices in Improving the Living Environment” prämiert. Darunter finden sich zahlreiche Beispiele für Low-Cost-Housing (leistbares Wohnen), verstärkte Partizipation von Frauen bei der Gestaltung von Wohnraum und Stadt(teil)planung, Nachbarschafts-Netzwerke, sozialen Zusammenhalt, Infrastruktur-Verbesserungen in Richtung öffentlicher Verkehr, Nahversorgung, Erholungsräume usw.

Grundrecht leistbares Wohnen
Die Errichtung von Gebäuden wird rasant teurer. Bauordnungen, Steuern und Abgaben, Spekulationen mit Grundpreisen, hochtechnisierte Baustoffe und vor allem der Faktor Arbeit erschweren in entwickelten Industrieländern das Grundrecht auf angemessenes, leistbares Wohnen. Selbst Förderungen als soziales Regulativ vermögen die finanziellen Belastungen, die durch Hausbau, Miete oder Immobilienkauf entstehen, nur zum Teil auszugleichen. Nicht verwunderlich also, daß sich weltweit Architekten, Organisationen und Stadtverwaltungen auf die Suche nach Methoden begaben, diese Preisspirale wieder umzukehren. Ein Beispiel dafür ist das prämierte (World Habitat Award) – autofreie – Europahaus-Projekt in Hannover: 64 mietbare Einheiten zwischen 58 und 94m2 in 16 zweistöckigen Gebäuden bieten leistbares Wohnen auf hohem sozialen, ökologischen und architektonischen Niveau. Die Errichtungskosten (mit Zellulose gedämmte Holzständerkonstruktion) konnten im Vergleich zu herkömmlichen Bauweisen durch innovatives Design und vereinheitlichte Planung bzw. Vorfertigung um 30% gesenkt werden.
Bauökologische Materialien, hohe Wärmedämm-Standards, Regenwasser-Sammelanlagen und ein optimiertes Heizsystem helfen, umweltrelevante Emissionen zu minimieren.

Do it yourself als Lösung?
Neben den Einsparungen durch intelligente, optimierte Konstruktions-Systeme und Vorfertigung (Holzständer-Elementbauweise, Fertigteilsysteme) lassen sich die Errichtungskosten von Gebäuden vor allem durch höheren Eigenleistungsanteil senken. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Konstruktions- und Verarbeitungstechniken vereinfacht und in Seminaren und Schulungen die wichtigsten Handgriffe gelehrt werden. Gerade baubiologische Materialien wie Lehm, Erde, Kalk und Holz (Leichtbauweise), Dämmstoffe wie Stroh, Flachs, Hanf, Schafwolle und Kork erlauben einen hohen „Do it yourself”-Anteil am Baugeschehen. Die soziale Interaktion – Männer, Frauen und Kinder nehmen gemeinschaftlich am Bauprozess und der Gestaltung der eigenen 4 Wände teil – ermöglicht im frühen Stadium die Beziehung zum späteren Eigenheim und hat in vielen Beispielen gezeigt, daß dadurch das individuelle und soziale Wohlbefinden gefördert wird.

Massive Bedenken
Mittlerweile sind viele baubiologische „Low-Tech-Materialien” – nicht zuletzt durch die steigende Nachfrage – auch ohne hohen Eigenleistungsanteil den synthetischen High-Tech- „Massenbaustoffen” durchaus preislich ebenbürtig. Und hinsichtlich ihrer Herstellungsenergie und ihrer hervorragenden Dämmwerte übertrifft die Holzständerbauweise mit „massiver” Dämmung aus Zellulose, Schafwolle, Flachs, Hanf, Stroh & Co die Massivbauweise um vieles (um denselben k-Wert einer Wand zu erreichen wie eine mit 35 cm Stroh gedämmte Holzständer-Konstruktion, müßte man eine 3m! Porotherm-Ziegel-Wand aufstellen). Und im Vollwärmeschutz (außenliegende Dämmschicht auf Ziegel- bzw. MassivlehmWand) können z.B. Schilf- oder Korkdämmplatten den verpönten Styropor- und Polystyrolplatten preislich wie auch qualitativ das Wasser reichen.

Bsp. „Straw Bale”-Häuser
Rund 14.000 Strohballenhäuser, deren Wände, zum Teil auch Dächer, aus diesen überdimensionalen „Ziegeln” gebaut wurden, beweisen mittlerweile, daß Innovationsgeist, Witz und Experimentier-Freudigkeit zu durchaus ansehnlichen Erfolgen führen kann. Die hohe Wärme- und Schalldämm-Fähigkeit des günstigen landwirtschaftlichen Nebenprodukts Stroh hat schließlich auch das Interesse zahlreicher Architekten, Bauingenieure und Bauunternehmen auf sich gezogen. So können z.B. Wände, Zwischendecken und Dach mit Strohballen gedämmt werden und erreichen damit einen U-Wert (K-Wert) um die 0,10 W/m2K (Passivhausstandard).

Neue Technologien
Die Baubiologie hat auch hierzulande bereits erfolgreich Einzug in das Baugeschehen gehalten. Niedrigenergiehäuser, Solararchitektur, ressourcenschonendes und nachhaltiges Bauen sind zu Begriffen geworden, die aus keiner Architekturzeitschrift mehr wegzudenken sind. Für die Zukunft gilt es, die vielfach noch bestehenden Ängste in bezug auf diese nachhaltigen Zukunfts-Technologien auszuräumen und über die Vorteile diffusionsoffener („atmender”) Wände und dem damit verbundenen gesunden Raumklima aufzuklären und der Natur ihr Recht zurückzuerobern.